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Dez 03 2014

Gegen Obsoleszenz – Mindestlebensdauer für Produkte gefordert

Organisierte zusammen mit den partnern das Fachforum Obsoleszenz - Prof. Dr. Tobias Brönneke Hochschule Pforzheim

Organisierte zusammen mit den partnern das Fachforum Obsoleszenz – Prof. Dr. Tobias Brönneke Foto: Hochschule Pforzheim

Wir kennen es alle, ein Produkt gerade vor gefühlten zwei Monaten gekauft, liegt darnieder und stirbt lange, bevor man es vermutet hätte. Selbstverständlich in einem Moment, in dem man es so gar nicht gebrauchen kann. Dieses Phänomen tritt seit sechs bis acht Jahren auf – und blieb den Konsumenten nicht verborgen. Während die eigene Waschmaschine das biblische Alter von 26 Jahren gerade hinter sich hat und wäscht und wäscht und wäscht, ist die Maschine des Nachbarn, gerade einmal vier oder fünf Jahre alt, quietscht und röchelt, um dann keinen Ton mehr von sich zu geben, geschweige denn, die Wäsche zu Ende zu waschen. Die darauf folgende Entfernung von so 40 Litern Wasser durch das Fusselsieb mutiert anschließend zu einem unfreiwilligen Bad und Großreinemachen, der halben Wohnung, vornehmlich des Flurteppichs.

Bei Nachfragen, warum das Gerät denn schon defekt sei, bekommt man regelmäßig keine Antwort. Vielmehr wird das Gerät innerhalb der Garantiezeit stillschweigend ohne weiteren Kommentar umgetauscht. Nach der Garantie wird dem Kunden ein exorbitanter Kostenvoranschlag für eine Reparatur vorgelegt. Der Vorwurf der Obsoleszenz oder „vorzeitigen Verschleißes“ wird dennoch regelmäßig mit zwei Argumenten durch die Industrie abgeschmettert. Das erste ist eine Binse: „Alles geht einmal kaputt, wenn Sie es benutzen“. Das zweite Argument stammt aus einer Zeit, als es die Vermutung der Obsoleszenz noch nicht gab: „Viele Elektroartikel sind älter als 10 Jahre.“ Zum ersten Argument ist zu sagen, dass es mehr als ärgerlich ist, wenn ein teures (Groß)Gerät, eine nur kurze Lebensdauer hat, da die Anschaffungskosten auf die Nutzungsdauer umgerechnet werden müssen und die jeweilige Nutzung dadurch in astronomische Höhen schießt. Das zweite Argument ist wahr, entlarvt jedoch für viele Skeptiker, die Industrie selbst, denn vor zehn Jahren hat es weder den Verdacht der Obsoleszenz noch den des „vorzeitigen Verschleißes“ gegeben. Geräte wurden für die Ewigkeit gebaut und der Eigentümer war regelmäßig bass erstaunt, wenn es tatsächlich einmal kaputt ging. Deshalb ist anzunehmen, dass einem Gerät, gekauft lange bevor die Vermutung von Obsoleszen und „vorzeitigem Verschleiß“ auftrat, ein sehr langes Leben beschieden sein dürfte.

Der Druck der Verbraucher wird durch so eine Vermutung natürlich nicht geringer. Und so fand die erste Fachtagung zum Thema „Vorzeitiger Verschleiß“ an der Hochschule Pforzheim statt.“ Wie lang muss ein Produkt mindestens funktionieren?“ war die zentrale Frage, die sich 150 Verbraucherschützer, Ingenieure, Vertreter von Bundes- und Landesministerien, Bundesämtern, Industrie- sowie Verbandsvertreter und zahlreicher Experten verschiedener Fachrichtungen am 28. November 2014 stellten.

Wichtig hierbei „Vorzeitiger Verschleiß“ ist nicht das selbe wie Obsoleszenz. Von Obsoleszenz spricht man, wenn vorsätzlich Schwachstellen in ein Produkt eingebaut würden, damit dieses vor seinem natürlichen technischen Ende stirbt. „Vorzeitiger Verschleiß“ dagegen bezeichnet ein Produkt, in dem ein oder mehrere preiswertere und damit weniger haltbare Teile eingebaut wurden, die dazu führen, dass es vorzeitig stirbt. Für den Verbraucher sind diese Begriffe synonym zu nutzen, da es für ihn kaum einen Unterschied macht. Denn das Ergebnis ist das selbe: ein defektes Gerät.

Und so wurden auf der Tagung Fragen über das subjektive Verbraucherempfinden, technische Möglichkeiten, rechtliche Rahembedingungen, Trends und Marketingstrategien diskutiert. Das Fazit der Teilnehmer: Ein vorzeitiges Produktende ist ärgerlich für den Verbraucher, der aber auch verstärkt nach immer neuen Geräten fragt.

Viele Verbraucher haben den Eindruck, dass technische Geräte kurz nach Ablauf der Garantiezeit „den Geist aufgeben“, andere vermuten den bewussten Einbau von Defekten. Tobias Brönneke wollte nicht von „vorzeitigem Verschleiß“, sondern von „vermeidbarer Obsoleszenz“ sprechen. Der Professor für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Pforzheim und engagierter Verbraucherschützer war Mitorganisator der erfolgreichen Tagung. „Die Haltbarkeit von Produkten muss genauso angegeben werden, wie das Mindesthaltbarkeitsdatum bei Lebensmitteln“, forderte er. Die technischen Schwierigkeiten einer solchen Information hoben die Ingenieure und Unternehmensvertreter während der Tagung hervor. In den Produktkalkulationen sei natürlich eine Lebensdauer angegeben, die aber bei Simulationen unter Laborbedingungen errechnet seien. „In der Realität können sie nur ahnen, wie die Produkte eingesetzt werden“, so ein Teilnehmer.

In der vom Bundesumweltamt vorgestellten neuen Studie zu elektronischen Großprodukten wurde allerdings deutlich, dass sich der Verbraucher nicht ganz täuscht. Demnach verringere sich beispielsweise die Lebensdauer von Fernsehgeräten deutlich. Auf fünf bis sieben Jahren schätzen Experten die Verweildauer der Geräte in den Haushalten. Die verringerte Lebensdauer der technischen Geräte sei allerdings nicht nur dem Materialeinsatz oder der Produktion geschuldet. „Lifstyle, Image oder der Wunsch nach immer Neuem bestimme die Einsatzzeit der Produkte mit“, kommentierte nicht nur Sibylle Klose, Modeprofessorin an der Hochschule Pforzheim. Die Marketingstrategien der Unternehmen, die immer schnellere Produktwechsel ansteuerten, finden ihren Wiederhall beim Verbraucher. Alle zwei Jahre ein neues Handy, Modezyklen, die immer schneller werden und keine nachhaltige Produktion zulassen, bestimmen das Einkaufsverhalten.

Analysierte die Qualität der Produkte im Vergleich - Hubertus Primus, Vorstand Stiftung Warentest Hochschule Pforzheim

Analysierte die Qualität der Produkte im Vergleich – Hubertus Primus, Vorstand Stiftung Warentest Foto: Hochschule Pforzheim

Vielfach seien die Produkte nicht auf Langlebigkeit angelegt, erklärte Hubertus Primus, Vorsitzender Stiftung Warentest. „Nicht wechselbare Akkus in Handys oder Ersatzteile, die am Ende deutlich teurer als das eigentliche Produkt sind – wie bei Rasierapparaten – setzen hier deutliche Zeichen“, so Primus.

So kontrovers die Diskussionen während des Fachforums waren, so begeistert waren alle von dem umfassenden, vielschichtigen Austausch. „Mehr Informationen für den Verbraucher, damit er frei entscheiden kann.“ Dieser Forderung des Wirtschaftsrechtlers Brönneke schlossen sich viele Teilnehmer an. „Die Unterschiede zwischen Profigeräten für den häufigen Gebrauch und Laiengeräten, die nur ein- oder zweimal verwendet werden, sind berechtigt. Doch dies muss klar deklariert sein“, bilanzierte Professor Brönneke, der sich gegen den Vorwurf der Industrie wehrte, den Verbraucher mit Informationen zu überfluten.

Recht einig waren sich die Vertreter von Wirtschaft, Verbänden und Wissenschaft in der Erkenntnis, dass Obsoleszenz für den Konsumenten ein Problem ist – die Lösungsvorschläge variierten dann doch je nach Perspektive erheblich. Gerade von den Juristen wurde die aktuelle französische Gesetzgebung, die die „geplante Obsoleszenz“ unter Strafe stellt, kritisch gesehen. Zu kompliziert sei es, den Unternehmen hier Vorsatz nachzuweisen. Hier fragt sich der unbedarfte Zuhörer doch, warum etwas, das in Frankreich möglich ist, für die deutsche Justiz zu schwer sein sollte. Nichts destotrotz gibt es auch hierzulande Initiativen, die entsprechende Fälle aufdecken, bzw. sich mit diesem Thema beschäftigen: So beispielsweise das Blog „Murks – nein danke von Stefan Schridde.

Ursula Pachl, Vizepräsidentin des europäischen Verbraucherverbands BEUC, appellierte an Unternehmen, Geräte entsprechend nachhaltig zu konstruieren. Als zusätzlicher Ansporn diskutierte das Plenum eine Ausweitung des derzeit nur Verbänden zustehenden Klagerechts auf die Verbraucher oder die Nutzung des „scharfen Schwerts der Sammelklage“.

„Die Einbindung vieler Disziplinen und die offene Diskussion haben mich begeistert. Ich hoffe, wir setzen den Dialog fort“, so die Bilanz vieler Teilnehmer. Die Möglichkeit, mit Volkswirtschaftlern, Ingenieuren, Marketingstrategen, Unternehmensvertretern, Verbraucherschützern und Juristen so offen über das Thema „vermeidbare Obsoleszenz“ zu sprechen, öffnete neue Perspektiven und brachte für alle Beteiligte einen deutlichen Gewinn.

So interessant diese Fachtagung sicher war, so wenig wird sie vermutlich bewirken. Es ist das eine, von einem vermuteten Unrecht zu wissen, das andere, dagegen erfolgreich vorzugehen, indem man es beweist. Aber viellicht ist der Anfang hier gemacht?! In diesem Sinne: Viel Spaß mit Ihrer neuen Waschmaschine oder Ihrem neuen Tiefkühlgerät.

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